Wer war Fritz Mauthner (1849-1923) ?

 von Heiner Jestrabek

          

1849     22.November. Geboren in Horice bei Hradek-Králové in Tschechien. Eltern: Tuchfabrikant Emmanuel Mauthner und Frau Amalie.

1855ff   Übersiedlung der nach Prag. Privatunterricht, jüdische Vorbereitungsschule, Gymnasium

1869     Nach Gymnasium und Abitur Wanderung durch Süddeutschland und Tirol. Immatrikulation an der juristischen Fakultät der  Prager Universität.

1871     Rechtshistorische Staatsprüfung. Wanderung durch den Böhmerwald.

1873     Exmatrikulation ohne Studienabschluss. Arbeit in einer juristischen Kanzlei.

1874     Tod des Vaters. Austritt aus der Kanzlei und Leben als Schöngeist. Erste Feuilletons und Erzählungen. 23. 5. Uraufführung Schauspiel 'Anna' in Prag.

1875     Schriftführer des deutschen Casinos Concordia. Theaterkritiker.           

1876     August Umzug nach Berlin.

1876ff   Journalist, Theaterkritiker, Redakteur, Autor.

1878     Heirat mit Jenny, geb. Ehrenberg. Geburt der Tochter Grete.

1879     Parodien 'Nach berühmten Mustern'. Erzählungen 'Einsame Fahrten, Plaudereien und Skizzen', Aufsatzsammlung 'Kleiner Krieg'.

1880     Erzählung 'Vom armen Franischko'.

1881     Novellensammlung 'Die Sonntage der Baronin'.

1882     Romans 'Der neue Ahasver'.

1884     Horaztravestie 'Dilettantenspiegel'. Historischer Roman 'Xantippe'.

1886     Erster Band der Trilogie 'Berlin W'.: 'Das Quartett' (Bd.2: 'Die Fanfare' 1888; Bd.3: 'Der Villenhof', 1890). Aufsatzsammlung 'Credo'.

1887     'Der letzte Deutsche von Blatna'. Aufsatzsammlung 'Von Keller zu Zola'.

1888     Pressesatire 'Schmock'.

1889     Vorstand der Freien Bühne. Freundschaft mit Gustav Landauer. Oktober Herausgeber der Zeitschrift 'Deutschland', später 'Magazin für Litteratur'. Künstlersatire 'Der Pegasus'.

1892     Umsiedelung nach Grunewald. Gründungsmitglied der 'Neuen Freien Volksbühne' Bruno Willes. Beginn der 'Beiträge zu einer Kritik der Sprache'. Buchausgabe der Gedichte in Prosa:

            'Lügenohr'. Aufsatzsammlung 'Tote Symbole'.

1893     Aufsatzsammlung 'Zum Streit um die Bühne'.

1894     Kriminalroman 'Kraft'.

1896     Tod der Frau Jenny.

1898     Drohende Erblindung zwingt zum zeitweiligen Abbruch jeder Arbeit.

1901     Erster und der zweiter Band der 'Beiträge zu einer Kritik der Sprache' (Bd. 3, 1902).

1904     Essay 'Aristoteles'.

1905     Oktober Umsiedelung nach Freiburg. Eintritt in Kantgesellschaft. Enge Freundschaft mit Gerhart Hauptmann.

1906     Bekanntschaft mit Martin Buber. Buchausgabe der 'Totengespräche'. Essay über Spinoza.

1907     Naturwissenschaftliche und mathematische Studien an Uni Freiburg.

1908     Beginn Arbeit am 'Wörterbuch der Philosophie' mit Unterstützung Hedwig Straubs (1872-1945), seiner späteren zweiten Frau (Heirat 1910).

1909     Umzug in das Glaserhäusle bei Meersburg am Bodensee.

1910     Erster Band von 'Wörterbuch der Philosophie' (Bd. 2, 1911).

1912     Dichtung 'Der letzte Tod des Gautama Buddha'. Herausgeber der 'Bibliothek der Philosophen'.

1914     Auseinandersetzung mit Gustav Landauer über die Stellung zum Krieg. Aufsatzsammlung

            'Gespräche im Himmel und andere Ketzereien'.

1918     Versöhnung mit Gustav Landauer (und endgültiger Bruch 1919). Erscheinen der 'Erinnerungen'.

1919     Ehrenbürger von Meersburg. Die 'Ausgewählte Schriften' erscheinen.

1920     Meersburger Kirchenkampf. Erster Band von 'Der Atheismus und seine Geschichte im Abendland' (Bd. 2-4, 1921-1923).

1921     Leitung philosophischer Seminare der Meersburger Ortsgruppe der Kantgesellschaft.

1923     Arbeit an den 'Drei Bildern der Welt' (1925 posthum erschienen). Am 29. Juni Tod in Meersburg.

1924     'Gottlose Mystik' (Dresden 1924) von Hedwig Mauthner zusammengestellte ausgewählte religionsphilosophische Werke.

 

Fritz Mauthner zu würdigen ist, angesichts seines sehr umfassenden Werkes, in einem kleinen Porträt schlicht unmöglich. Auch sind seine Positionen als Freidenker und Philosoph nicht unumstritten. Unbestritten ist sein sprachwissenschaftliches und philosophiegeschichtliches Werk. Sein 'Der Atheismus und seine Geschichte im Abendlande' ist für Freidenker ein unentbehrliches Nachlagewerk, mit Gewinn zu lesen und in seiner Komplexität bisher unübertroffen. Hier nur zwei Zitate zur Orientierung an Mauthners Positionen:

 

Gott

»Wenn Gott nicht existierte, man müsste ihn erfinden.« So wird oft gesagt. Man müsste? Soll heißen: man sollte. Aus höchsten moralischen Gründen. Aus Gründen der Moral, die auf Befehle des existierenden oder erfundenen Gottes zurückgeht. Wirklich musste man ihn erfinden. Aber nicht, weil man sollte, sondern nach der Natur der Menschen und ihrer Sprache. Man musste Gott erfinden heißt also: man hat ihn erfunden, notwendig. Der Sinn des berühmten Satzes ist also: weil Gott nicht existiert, darum haben ihn die Menschen nach ihrer Natur erfunden. (aus dem 'Wörterbuch der Philosophie').

 

Damit der Leser nicht bis zum letzten Abschnitt des dritten Bandes zu warten brauche, um das letzte Ziel dieses Werkes kennen zu lernen, will ich gleich an dieser Stelle ein Glaubensbekenntnis ablegen; ich möchte diejenigen, die mir vertrauen, auf die helle und kalte Höhe führen, von welcher aus betrachtet alle Dogmen als geschichtlich gewordene und geschichtlich vergängliche Menschensatzungen erscheinen, die Dogmen aller positiven Religionen ebenso wie die Dogmen der materialistischen Wissenschaft, auf die Höhe, von welcher aus übersehen Glaube und Aberglaube gleichwertige Begriffe sind. Was ich zwischen den Zeilen des niederreißenden Buchs aufbauend zu bieten suche, mein Kredo also, ist eine gottlose Mystik, die vielleicht für die Länge des Zweifelsweges entschädigen wird. (aus: Vorwort zu: Der Atheismus und seine Geschichte im Abendlande)

 

Literatur:

Fritz Mauthner. Der Atheismus und seine Geschichte im Abendlande (1920-23, antiquarisch; Nachdruck: Eichborn, Frankfurt/M. 1989)

Fritz Mauthner. 'Wörterbuch der Philosophie'. Neue Beiträge zu einer Kritik der Sprache (1910 ff, antiquarisch)

'Gott' in: Kleiner Atheismus-Katechismus. Hrsg. von Gerd Haffmanns (Zürich 1993)    

Empfehlenswert ist auch die Homepage der Mauthner-Gesellschaft (http://www.gleichsatz.de/) mit umfangreicher Bio- und Bibliographie.

 

Neuerscheinung:

Fritz Mauthner: Der Atheismus und seine Geschichte im Abendlande. Hrsg. von Ludger Lütkehaus

4 Bände im Pappschuber, zusammen ca. 2.400 Seiten, gebunden, Vorbestellpreis Euro 149.-

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